Auf der Suche nach dem perfekten Espresso: Warum der italienische Familienbetrieb Illy seit drei Generationen aus dem Kaffeerösten eine komplizierte Wissenschaft macht.
Die 14 Weißkittel im Aromalabor von Illycaffè sind von der gleichen Begierde getrieben wie Jean-Baptiste Grenouille in Patrick Süskinds Roman Das Parfüm. Sie wollen an einem überwältigenden Duft teilhaben. Nur dass sie keine Frauen umbringen, sondern Kaffeebohnen sezieren.
Für den perfekten Espresso leistet sich der italienische Kaffeeröster Illycaffè eine eigene Forschungsabteilung in den Bergen von Triest. Herzstück ist das „Aromalab“ – ein steriler, weiß gefliester Raum. Mit komplizierten Messgeräten analysieren die Techniker hier die Bohnen – immer auf der Suche nach dem vollkommenen Espresso, der alle positiven Geruchs- und Geschmacksnoten in sich vereint. 1500 verschiedene Duftnoten haben die Forscher bereits herausgefiltert. Andrea Illy, der Chef des Familienunternehmens, und sein Vater Ernesto, der Illy-Chairman, nennen den Duft von frischer Minze, getrocknetem Holz, frischen Erbsen, von Linalool – eine Note, die auch in Chanel No 5 enthalten ist – oder Isovaleriansäure, die penetrant nach Schweißfüßen riecht.
Für die meisten Menschen ist Espresso wahrscheinlich nichts weiter als eine schwarze Brühe, bitter im Geschmack, nur mit Zucker zu genießen. Für Andrea Illy ist ein Espresso vor allem blanke Wissenschaft. Akribisch sammelt er jedes Aroma in seinem Notebook. „Ein Espresso ist wie ein Chor“, sagt der Firmenchef. „Alle Stimmen sind wichtig. Die Mischung macht’s.“
Und noch etwas haben die Illys in ihrem Labor herausgefunden: Bei der Zubereitung des kleinen Schwarzen spielen so viele chemische und physikalische Variablen zusammen, dass es theoretisch 6,2 Milliarden verschiedene Espressi geben könnte – aber nur einen wirklich perfekten. Für diesen perfekten caffè entwickelten die studierten Chemiker Andrea und Ernesto folgende Formel: 6,95 Gramm des fein gemahlenen Pulvers werden in 25 Sekunden bei einer Wassertemperatur von 92 Grad und einem Druck von 9,3 Bar zum Espresso. Ist das Wasser zu heiß, verbrennt das Pulver. Ist das Wasser nicht heiß genug, extrahiert die Maschine nicht ausreichend Aroma. Ist der Druck zu niedrig, wird der Espresso schal. Ist er zu lange aufgebrüht, schmeckt er holzig.
Die Bohnen, welche Illy verwendet, kommen aus Brasilien, Kenia, Indien oder Äthiopien. Nur von der Sorte Arabica müssen sie sein. Das Familienunternehmen kauft direkt bei den Kaffeepflanzern. Die Illys zahlen mehr als den Marktpreis von 70 Dollar pro Sack – wenn die Qualität stimmt. Damit bekämpfen sie die säure- und koffeinhaltigeren Robusta-Bohnen, die als Billigbohnen den Kaffeemarkt überschwemmen und die Preise drücken. In den vergangenen Jahren ist der Rohkaffeepreis um die Hälfte eingebrochen.
High Tech auch beim Rösten: Heiße Luft strömt computergesteuert um die Bohnen und erhitzt sie auf 200 bis 225 Grad: Heißer und dunkler mag es der Südeuropäer, die hellere 200-Grad-Variante bevorzugt der Nordeuropäer. Selbst bei der Verpackung haben sich die Illys etwas ausgedacht: Die Bohnen werden in Stickstoff und Kohlendioxid gelagert, damit sich das Aroma der Arabica-Mischung nicht nur hält, sondern noch verbessert.
Die Zubereitung ist das Einzige, was die Illys nicht direkt beeinflussen können. „Das größte Sicherheitsrisiko ist der Mensch“, sagt Andrea. Denn die Espressomaschine richtig einzustellen ist ein Geheimnis für sich. Espresso-Kenner kaufen sich ihren Illy ungemahlen. Sie wollen die Illy-Bohnen in der teuren Maschine knacken hören. „Die Mühlen müssen aber ständig justiert werden, sonst wird das Pulver zu fein oder zu grob“. Dann doch besser gleich Illy gemahlen in Portionen 250 Gramm. Verbleibende Fehlerquellen: Druck, Menge und die richtige Temperatur.
Für Verzweifelte haben die Illys das „Easy-Serving-Espresso“-System erfunden: die E.S.E.-Pads. Damit garantiert Andrea Illy den perfekten Espresso, „mit der haselnussbraunen Crema, feinblasig und drei Millimeter dick. Schließen Sie die Augen, und rühren Sie um. Und freuen Sie sich auf den betörenden Duft.“
Quelle: Autor Marcus Pfeil, © Die Zeit, Ausgabe 36 vom 28.08.2003. Vielen Dank für die tollen und umfangreichen Infos!