2. TEIL

Zu uns stößt nun die Schwester von Alessandros Frau, die seit kurzem als Art Direktorin für das Unternehmen tätig ist. Die blonde, fast skandinavisch anmutende, schöne Francesca ist eine Frau mit bester Bildung und internationaler Ausbildung. Sie hat viele sehr gute Ideen, um Nannini weltweit noch bekannter zu machen.

Begleitet wird Sie von Giorgio Leone; ein Italiener, der seit 10 Jahren in Hamburg tätig ist und den Relaunch des Internetauftritts Nanninis verantwortet. Sowohl Francesca, die in Mailand eine internationale Schule besucht hat, als auch Giorgio sprechen perfekt deutsch.

Um Alessandra aber nicht auszuschließen entsteht während des leckeren Mittagessens kreuz und quer über den Tisch ein bunter Mix aus italienisch, deutsch und englisch.

Danach brechen alle gemeinsam auf, um die Segnung eines Contrada-Pferdes mitzuerleben. Es gesellt sich noch Sylvi zu uns, die aus Siena kommt und auch für das Haus Nannini tätig ist.

Sie gehört der Contrada der „Stachelschweine“ an und ist nicht nur eine absolute Kennerin des Palios sondern auch glühende Anhängerin.

Vor der Kirche haben sich schon viele Menschen eingefunden, die genauso gespannt wie wir auf das für uns doch eher merkwürdig anmutende Ereignis einer Pferde-Segnung warten.

Alle haben Ihre Fotoapparate gezückt und knipsen was das Zeug hält, als uns ernsthaft dreinblickende Contrada-Mitglieder auffordern, ab jetzt auf den Blitz zu verzichten. Ein eindeutiger Hinweis darauf, dass es gleich los geht. Zusammen mit allen anderen betreten wir ehrfürchtig die dunkle Kirche und genießen kurz die etwas kühlere Luft, bis sich durch die vielen Menschen leider auch hier Wärme ausbreitet.

Gespräche und Stimmengewirr der Zuschauer erzeugen zunächst in der Kirche eine eher unandächtige Stimmung, bis einzelne Zischlaute der Eingeweihten nun alle auffordern, absolut still zu sein. Was erstaunlicher Weise auch sofort geschieht. Alle halten den Atem an und schauen gebannt auf den Eingang.

Geführt von dem Barbaresco (Reitknecht) schreitet das edle Rennpferd fast lautlos über den dicken roten Teppich zum Altar. Hier erhält es nun die Segnung für das schwere bevorstehende Rennen. Bereits nach ca. 5 Minuten ist der kirchliche Segen erteilt und das Pferd verlässt die Kirche. Während des würdevollen Vorbeischreitens breitet sich bei den Umstehenden und auch mir unweigerlich eine Gänsehaut aus.

Es handelt sich eben nicht um nachgestellte, altertümliche Ritterspiele, sondern um ein Ereignis, dass alle Bewohner bis in die heutige moderne Zeit in Atem hält und dessen Ausgang für die Ehre des eigenen Stadtteils von immenser Bedeutung ist.

Die Zugehörigkeit zur eigenen Contrada wird durch ein um den Hals getragenes Tuch mit den Farben und dem Symboltier des Stadtteils demonstriert. Das gefällt mir auf Anhieb so gut, dass ich so ein Tuch sofort haben möchte.

Selbstverständlich sollte es sich hierbei um die Contrada der Familie Nannini handeln, deren Name Nobile Contrada dell Oca ist und deren Fans wir ab sofort sind. „Oca“ bedeutet übrigens Gans und so befindet sich eben auf unserm Tuch eine weiße Gans! Irgendwie wäre Wolf, Panther oder Einhorn auch ganz schön gewesen, aber da es auch Schnecke, Raupe und Schildkröte gibt, sind wir doch noch ganz zufrieden mit unserer Gans.

Zusätzlich erfüllt es uns ein wenig mit Stolz, dass die Contrada „Gans“ mit 18 Siegen seit 1900 mit die meisten Rennen gewonnen hat. Wir gehören mal wieder zu den Besten ;-)

Die Tücher dürfen wir uns natürlich nicht selber kaufen. Sie werden uns geschenkt und standesgemäß umgebunden. Der einmal gebundene Knoten darf nie wieder gelöst werden wie Sylvi als Fachfrau zu berichten weiß.

Wir sind also auf immer mit der Gans verbunden.

Bei Höchsttemperatur schlendern wir nun alle gemeinsam durch die mittel- alterlichen Gassen und lassen den Trubel auf uns wirken.

Alle 17 Contraden ziehen mit Trommler, Ritter, Pferd und 2 Fahnenträgern durch die Stadt und erbitten vor Sienas großen schönen Dom um die Segnung des Bischofs, der diese wohl recht gleichmütig allen Contraden zukommen läßt.

Genauso wird aber auch Beistand vom Rathaus eingeholt und sogar bei einer Bank. Keine geringere als die „Banca Monte die Paschi di Siena“, die 1472 gegründet wurde und als die älteste noch existierende Bank der Welt gilt.

 
Der Italiener versteht es halt wie kein anderer Europäer Kirche, Politik und Geld unter einen Hut zu bringen.

Die Zeit verstreicht und nach einer Stärkung in einer typischen schlichten kleinen Bar müssen wir uns allmählich auf den Weg zur Loge begeben.

Diese sogenannte Loge ist eigentlich die Wohnung einer älteren Dame, die, zufällig oder auch nicht, direkt an der großen Piazza del Campo wohnt. Wir gehen die langen dunklen Treppen zur Piazza hinab und biegen links in den privaten Hauseingang ein.

Alessandro Nannini muss zunächst mit jedem Bekannten ein kurzes Schwätzchen halten und nach kurzer Zeit dürfen wir in die Privaträume folgen. Die italienische Signora hat es sich bereits auf der abgehängten Couch vor einem kleinen Fernsehgerät gemütlich gemacht. Sie scheint Ihre Räume nicht das erste Mal zur Verfügung gestellt zu haben. Wir erkennen den Profi. Kurzes Zunicken zur Begrüßung reicht. Wir sind schließlich nicht die einzigen Gäste. Ich schätze weitere 40-50 Personen aufgeteilt in die unterschiedlichsten Grüppchen teilen sich mit uns die Wohnung und vor allem die Balkone und Fenster. Um auf den ca. 80 cm tiefen Balkon zu gelangen müssen wir über einen Holztritt (dieser scheint noch aus den Anfängen des Palios zu stammen) aus dem Fenster klettern. Eines wird sofort klar: Diese Aussicht gehört zu den Begehrtesten.

Alle Zuschauer, die sich in der Mitte des Platzes befinden, also im Innern der Rennstrecke tuen uns jetzt schon ein wenig leid. Erstens weil es so heiß ist und zweitens weil die ja überhaupt nichts sehen können. Wir dagegen überblicken den gesamten Platz und freuen uns heimlich. Auf den Balkonen sind in enger Reihe kleine Stühle gestellt worden. Das kann ja sehr gemütlich werden.

Es beginnt mit einer militärisch anmutenden Reiterstandarte, die zunächst im Schritt und dann im rasenden Galopp um den Platz jagt, begleitet vom enthusiastischen Anfeuerungen der Zuschauer. Es geht also los.

Nächster und längster Programmpunkt ist der Einmarsch aller Contraden.

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