3. TEIL
Fotos: Giorgio Leone
Am Kopf jeder Contrada geht der Page mit der Standarte, gefolgt vom aufgeregt tänzelndem Rennpferd, das der Reitknecht führt. 2 Fahnenträger einer jeden Contrada stellen während des Umlaufs Ihre Künste zur Schau. Nach festgelegtem Ritual werfen Sie Ihre Fahnen hoch in die Luft und fangen diese gegenseitig auf.
Der Jockey reitet auf einem festlich geschmücktem Paradepferd. Der gesamte Einzug wird akribisch nach vorgegebener Zeit abgehalten. Darum kümmern sich der Zeremonien-Meister und seine Helfer. Sobald eine Contrada den Platz umrundet hat, nehmen die Teilnehmer Platz auf der großen Ehrentribüne.
Diese füllt sich naturgegeben im Verlauf immer mehr und gibt nach und nach ein immer bunteres Bild. Durch die mittelalterliche Kulisse der Stadt und die vielen Teilnehmer in alter Tracht fühlt man sich um Jahrhunderte zurückversetzt.
So muss es vor 400 Jahren auch schon in Siena ausgesehen haben, wenn der Palio stattfand. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch den archaisch anmutenden riesigen Fahnenwagen mit Siegerbanner, denn der wird von 4 großen Ochsen langsam um den Platz gezogen. Das ist das Banner, welches jeder Stadtteil für sich sehnsüchtig zu ergattern hofft.
Der Innenkreis des Platzes und die vielen Balkone sind nun bis auf den letzten Platz mit Menschen gefüllt. Auch wir müssen jetzt unsere Plätze auf dem schmalen Brett oberhalb des Balkons einnehmen.
Es erfordert doch einige Akrobatik dort hin zu gelangen. Wir klammern uns fest an die dünnen Eisenstangen und sind gespannt was nun folgt. Dann ist es soweit.
Die hoch im Blut stehenden Rennpferde mit den Jockeys erobern die extra für das Rennen angelegte 300m lange Sandbahn. In den Farben des Stadtteils tragen die Jockeys einen pyjama-ähnlichen Anzug und sitzen, ich traue meinen Augen nicht, ohne Sattel direkt auf dem Pferderücken.
Nervös tänzeln die Pferde und immer wieder steigt eines auf die Hinterbeine. Unglaublich, wie geschickt sich die Jockeys auf diesen „Vulkanen“ halten. Ich erfahre, dass die Jockeys die Rennen hauptberuflich ausüben und zudem eine Menge, sogar eine sehr große Menge an Geld dafür bekommen. Die Contraden lassen es sich 6-stellige Summen kosten, um den besten Reiter für sich zu gewinnen.
Über Lautsprecher erfahren die Zuschauer die Reihenfolge, in der die Jockeys die Pferde in die sogenannte Mossa reiten dürfen.
Dies ist der Startbereich zwischen zwei dicken Tauen die von Helfern gehalten werden. Sobald das letzte Pferd diesen Bereich betritt, wird das vordere Tau fallen gelassen und das Rennen startet. Was nun folgt ist ein unglaubliches Geduldspiel. Ein Pferd nach dem anderen betritt den Startbereich. Nur das letzte Pferd will und will nicht durch die schmale Öffnung. Immer wieder verweigert es und steigt sogar.
Hinter vorgehaltener Hand erhalten wir unbestätigtes Insiderwissen: So handelt es sich angeblich nicht um reinen Zufall, dass das letzte Pferd den Startbereich partout nicht betreten will. Es soll nämlich interne „Absprachen“ zwischen den Jockeys vor dem Rennen geben, die mit sehr viel Geld zu tun haben.
Dieses Geld wird von den einzelnen Contraden den Jockeys für diese „Verhandlungen“ zur Verfügung gestellt. Der Startbereich wird deshalb erst dann betreten, wenn ein bestimmter Jockey sein Pferd in guter Position zum Startseil ausgerichtet hat und somit die besten Ausgangschancen zum Sieg hat. Da das Rennen jedoch eigenen Gesetzen folgt, gilt diese Absprache dann doch nicht als Gewinngarantie.
Bestimmt eine halbe Stunde versucht der letzte Reiter sein Pferd wiederholt in den Startbereich zu bewegen. Immer wieder gelingt dies nur fast. Begleitet vom Raunen des angespannten Publikums. Dann plötzlich ist es soweit. Das vordere Seil fällt, das Rennen beginnt. Ein lauter Kanonenschlag lässt uns fast vom Sims fallen vor Schreck als Sekunden später schon der nächste Knall das Rennen wieder abbricht. Leider ein Fehlstart. Die Pferde laufen einmal um den Kurs, um nun wieder mit dem gleichen Geduldspiel zu beginnen.
Die Spannung ist wirklich unerträglich. Doch dann endlich betritt das letzte Pferd den Startbereich und das Rennen geht nun wirklich los. Kein Fehlstart!
Durch ein unglaubliches Geschrei der Anfeuerung entlädt sich die Anspannung der Zuschauer und wir haben wieder ein wenig Bedenken, ob der Balkon den Begeisterungsstürmen der Italiener standhalten wird.
Unser Puls rast, als wir sehen, wie die Jockeys in einer fast waagerechten Schräglage die Pferde durch die Kurven treiben.
Und so geraten auch schon in der ersten Kurve einige Pferde so sehr nach außen, dass die Reiter herunterstürzen.
Es sieht höllisch gefährlich aus.
3 mal galoppieren die Pferde um den Platz und nach nur ca. 100 Sekunden erreicht das Pferd der „Stachelschweine“ als erster das Ziel. Noch bevor Ross und Reiter das Ziel erreichen, laufen die Fans direkt auf die Rennbahn und empfangen mit hochgerissenen Armen ihr siegreiches Gespann. Wir können kaum hinsehen, denn natürlich werden einige begeisterte Fans von den herangaloppieren Pferden böse überrannt. Brüche und Prellungen werden wohl gerne in Kauf genommen für die Ehre des Stadtteils. Der Jubel des siegreichen Teams erfüllt die ganze Stadt.
Klar, dass in ganz Italien das Rennen im TV live ausgestraht wurde. Und wie schön, dass man es sich nun in Zeitlupe noch mindestens 100x im Fernsehen ansehen kann. Dabei wird heftig spekuliert und diskutiert wer hier wen übervorteilt hat.
Alessandro Nannini bleibt cool. Mit dem Sieg der Stachelschweine kann er sich arrangieren. Schließlich hat ja nicht der traditionelle Erzfeind die Contrada delle Torre (Turm) gewonnen. Und beim nächsten Rennen, wenn die „Gans“ auch wieder dabei sein wird, werden die Karten ja neu gemischt. Da kann man Alessandro dann auch ganz anders erleben, wie uns versichert wird.
Wir sind jedenfalls restlos begeistert. Eingetaucht in eine fremde Welt, durften wir von besten Plätzen aus dieses jahrhunderte alte Rennen hautnah miterleben. Wirklich unvergesslich. Immer noch aufgeregt vom Erlebten wandern wir gemeinsam durch die von begeisterten Anhängern verzauberten Gassen. Die Feierlichkeiten der Sieger können schon bis zu einigen Wochen andauern.
Unser Anlaufpunkt ist natürlich wieder die Bar von Nannini. Während wir auch hier im Fernsehen die Wiederholungen des Rennens anschauen, gönnen wir uns alle einen leckeren Negroni. Das ist ein klassischer italienischer Cocktail, der es in sich hat und dabei ganz einfach zu kredenzen ist. Mischen Sie 1/3 Gin, 1/3 Campari und 1/3 roten, süßen Vermouth und dazu eine Orangenscheibe und Eiswürfel hinein…fertig! Sehr lecker.
Abschluss dieses gelungenen Tages ist ein wunderschönes spätes Abendessen in einem sehr bekannten Restaurant in Siena. Wie der Kellner uns zu berichten weiß, speiste sogar Daniel Craig alias „James Bond“ während der letzten Dreharbeiten zum neuen Bond-Film jeden Abend in diesem Restaurant. Gut, dann ist es für uns wohl gerade recht. Wir genießen das köstliche Essen und lassen den Abend unter viel Gelächter ausklingen.
Wir bedanken uns bei Alessandra für den herrlichen Tag und verabreden uns noch kurz für den nächsten Morgen in der Nannini-BAR. Und obwohl wir unsere nette Begleitung nicht weiter von der Arbeit abhalten wollen, besteht sie auf dieses Treffen.
Denn wir müssen unbedingt noch ein großes Paket mit Ricciarelli mitnehmen. Diese Gebäckspezialität liebe ich nämlich, was sich Alessandra wohl gemerkt hat. Nach einer herzlichen Verabschiedung setzen wir unsere Italienreise fort und verlassen Siena.
Aber wir kommen wieder. Das ist sicher.
Jetzt ging es erstmal zurück nach Deutschland zurück in unseren Kaffee Shop.